Cottbus-Lexikon
Rote Armee - Die verborgene Garnison
Ganz in Süden von Cottbus befindet sich ein Areal, das architektonisch etwas aus dem Rahmen fällt. Während ringsum Plattenbauten das Stadtbild dominieren, reihen sich hier zwischen Kiefern zweistöckige Gebäude aneinander. Schon auf den zweiten Blick fällt ihre militärisch-symmetrische Architektur ins Auge. Hier errichtete die Wehrmacht ab 1935 eine Kaserne für das sich beständig vergrößernde Heer.
In der jüngeren Stadtgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg behielt die »Sachsendorf-Kaserne« ihre militärische Funktion, diente mit der Sowjetischen Armee jedoch über 45 Jahre dem Sieger des Krieges. Noch 1945 wurde hier die 9. Mechanisierte Division einquartiert, um zunächst die Gewährleistung der Reparationen zu überwachen. Später übernahm sie als eine von bis zu 21 in der DDR stationierten Divisionen die Sicherung des strategischen Vorfeldes der Sowjetunion. Mit einer Gesamtzahl von fast 500.000 Personen bildeten die sowjetischen Soldaten und Zivilisten die größte Gruppe von Ausländern in der DDR. Zwischen 1945 und dem Abzug der Streitkräfte im Jahr 1994 hielten sich insgesamt knapp 10 Millionen sowjetische BürgerInnen auf deutschem Boden auf. Dieser großen Anzahl und dem propagierten Ideal einer deutsch-sowjetischen Freundschaft stand jedoch die Abschottung der Garnisonen gegenüber der DDR-Gesellschaft entgegen. Privater bzw. freundschaftlicher Umgang mit der Bevölkerung war den Militärangehörigen nicht gestattet. Für die Einheimischen existierten auf dem Land und in den Städten dagegen riesige Areale, zu denen ihnen der Zutritt verboten war. Beiderseitige Kontakte fanden letztlich fast immer nur bei offiziellen, behördlich gelenkten Veranstaltungen statt. Rückblickend sind daher Einsichten in den Alltag jener militärischen Parallelwelt nur sehr schwer möglich.
Zu diesen vom städtischen Leben abgeschnittenen Zonen gehörte auch die »Sachsendorf-Kaserne«, in der die einfachen Soldaten untergebracht waren. Sie war jedoch nur ein Teil der sowjetischen Garnison. Die ganze Stadt, vor allem im Zentrum und im Süden, war von zahlreichen Standorten überzogen. In der Stadtmitte befand sich in der Bahnhofstraße die Kommandantur – das militärische Zentrum der Garnison – und in der Puschkinpromenade das Lazarett. Westlich lag jener Bereich, der den Offizieren und deren Familien vorbehalten war. Im Umfeld der Kreuzung von Berliner Straße und Pappelallee befanden sich ihre Wohnquartiere und in der heutigen Bauhausschule die sogenannte sowjetische Schule. Hier konnten Cottbuser EinwohnerInnen auch in einem von zwei »Russenmagazinen« in der DDR sonst nicht erhältliche Konsumgüter erwerben. Im Süden von Cottbus stand dagegen die logistische Infrastruktur der Sowjetischen Armee. Neben mehreren Lagerkomplexen entlang der Leipziger und Vetschauer Straße sowie im heutigen Chemiewerk versorgte die Bäckerei in den Speichern westlich des Bahnhofs die Garnison mit Brot. Insgesamt umfasste die von den Sowjetischen Streitkräfte genutzte Fläche etwa einen Quadratkilometer auf dem Cottbuser Stadtgebiet, im Bezirk Cottbus selbst waren es 115 km².
Während die Armee des Kaiserreichs und jene des NS-Systems für die lokale Wirtschaft und Beschäftigungssituation durchaus strukturfördernd – wenn auch zu einem auf lange Sicht mehr als hohen Preis – gewesen waren, so war dies bei der Sowjetischen Armee kaum der Fall. Zum einen belastete sie durch ihren großen Gebäudebedarf die Wohnungs- bzw. Flächensituation in den Garnisonen. Mit der Bildung der Nationalen Volksarmee als weiterer Waffenträger musste sich die Situation noch weiter verschärfen. Zum anderen setzte die Sowjetische Armee kaum ökonomische Impulse. Das lokale Handwerk erhielt nur in bescheidendem Rahmen Aufträge und aufgrund des hohen Geheimhaltungsgrades wurden kaum deutsche Zivilkräfte beschäftigt. Lediglich das Umland profitierte gelegentlich von der »Bruderarmee«. So wurden seit den Fünfzigerjahren sowjetische Armeeangehörige zu Arbeitseinsätzen in die Industrie- und Landwirtschaftsbetriebe geschickt. Vor allem zur Erntezeit, wenn nicht ausreichendes Personal zur Verfügung stand, wurden Soldaten häufig durch die LPG´s eingesetzt.
Quellen:
Kotsch, Detlef: Das Land Brandenburg zwischen Auflösung und Neugründung. Politik, Wirtschaft und soziale Verhältnisse in den Bezirken Potsdam, Frankfurt (Oder) und Cottbus in der DDR (1952 bis 1990). Berlin 2001. | Müller, Christian Th.: "O' Sowjetmensch!" Beziehungen von sowjetischen Streitkräften und DDR-Gesellschaft zwischen Ritual und Alltag. In: Ankunft-Alltag-Ausreise. Migration und interkulturelle Begegnung in der DDR-Gesellschaft. hrsg. von Christian Th. Müller und Patrice G. Poutrus. Köln 2005.
Onlinequellen:
Sowjetische militärische Standorte in Deutschland. Cottbus. Link: http://www.sowjetische-militaerstandorte-in-deutschland.de/content_detail_v4.cfm?ort=Cottbus
Autor: Paul Fröhlich
Bildquelle: Kopfbedeckung eines sowjetischen Soldaten, (c) Thomas Richert